80 Jahre Erstbegehung Eiger-Nordwand - Anderl Heckmair

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80 Jahre Erstbegehung Eiger-Nordwand
24.07.2018
80 Jahre Eiger Nordwand-Erstdurchsteigung

Nirgendwo bündelt sich alles in derart geballter Form: Abenteuerliches wie Absurdes, Strategisches wie Skurriles, Dramatisches wie Drastisches, Trickreiches wie Traumatisches! Wer sie sieht, muss ihr verfallen. Einerlei ob er sich Bewunderer oder Bergsteiger nennt. Vor 80 Jahren wurde sie erstmals durchstiegen: die Eiger-Nordwand.

Der Typ da am Beckenrand sieht irgendwie lässig aus. Durchtrainierter Körper, markante Gesichtszüge. Könnte ein Sportler sein oder ein Model. Würde locker in unsere Zeit passen, einzig die Badehose verrät, dass das lang her sein muss. Was das mit der Eiger-Nordwand zu tun hat? Eine Menge. Es war Anderl Heckmair, der zeitweise in einer Badeanstalt unterkam und sich als Tourist tarnte, um nicht als Eigerwand-Kandidat aufzufallen.
Um nicht zu sehr als Nordwand-Belagerer aufzufallen, hauste Anderl Heckmair zeitweise im Schwimmbad von Interlaken.
© Archiv Heckmair-Auffermann
Das hatte es vorher so noch nie gegeben. Nach etlichen Todesfällen, vor allem aber nach dem großen Drama um Toni Kurz 1936 stürzte sich die Presse auf jeden, der offenbar mit der Nordwand liebäugelte. Eine Wand war zur Arena geworden, die Alpinisten zu Todeskandidaten. Oder zu Helden, wie Heckmair, Vörg, Kasparek und Harrer, denen schließlich die erste Durchsteigung der »Mordwand« gelang. Gewiss, das war dramatisch und durch einen Wettersturz bedrohlich, und ja, es war eine außerordentliche bergsteigerische Leistung – aber es waren keine Helden, es waren Menschen mit Kauzigkeiten, Schwächen und Normalitäten. Anderl Heckmair zum Beispiel kämpfte im Biwak mit Rheumawatte, von der er sich Schutz vor Erfrierungen erhoffte, die dann aber an den Füßen klebend so höllisch brannte, dass man ihn weithin fluchen hörte. Sogar ein Fläschchen Notfall-Herztropfen trank er aus, weil er »einen Durst« hatte, und ausgerechnet in der Eigerwand verdarb er sich an einer Büchse Ölsardinen den Magen. Derselbe Anderl Heckmair, der trotz Schneesturm und Lawinen alle souverän aus der Wand führte, verlor dann beim Abstieg über den Westgrat wegen eines gerissenen Gummizugs am Hosenbund jede Contenance. Soweit also zu den »übermenschlichen Helden«, zu denen sie vor allem die Nazi-Propaganda anschließend stilisierte.
Mangel an Ausrüstung
Das rund 1800 Meter hohe Nordkonkav des Eigers war fortan zu mehr geworden als nur zur bergsteigerischen Herausforderung der Superlative. Gute Alpinisten sahen in einer Durchsteigung ein absolutes Muss für ihre Entwicklung, und für die ohnehin schon perfekten Bergsteiger war sie eine sehr ernste, aber lösbare Aufgabe. Viele allerdings hatten zu wenig Erfahrung und verloren ihr Leben. Manche hatten riesiges Glück und kamen irgendwie durch. Auch Mangel an guter Ausrüstung und Geld war ein Thema. Bei der spektakulären Wintererstbegehung 1961 hatte Walter Almberger, von Beruf Bergmann, seinen Grubenhelm dabei, weil er sich einen Steinschlaghelm schlicht nicht leisten konnte. Von Geldmangel weiß sogar noch Robert Jasper ein Lied zu singen. Er war bei seinem ersten Nordwand-Versuch gerade 16 Jahre alt und bekam als Schüler nur mühsam seine Ausrüstung zusammen: »Noch im Dunkeln entdeckte ich nahe der Randkluft zu meiner Freude einen Helm im Schotter. Als ich ihn umdrehte, war es mit der Freude vorbei: Innen drin klebten Haare und Blut!«
Die Eiger-Nordwand ist nicht nur Schauplatz alpiner Sternstunden, sondern überaus gefährlich, mit dramatischen Unglücken. Spätestens durch den Kinofilm »Nordwand« ist das auch Laien deutlich geworden. Dass in der Nordwand übrigens schnell ein Inferno losgehen kann, liegt an der besonderen Exposition. Da reicht schon eine einzige Wolke. »Der Eiger setzt seine Schlafmütze auf«, hieß es bereits bei den Schilderungen Heinrich Harrers. Das gilt bis heute. Roger Schäli hat das spezielle Mikroklima mal im Winter erlebt. Das geplante Biwak verlief gut. Doch an der Spinne wurde es dunkel. Eine kleine Wolke hatte sich gebildet und schneite nun aus. »Wir sind zum Mittellegigrat gequert und haben da ein Notbiwak verbracht. Die Situation war ziemlich heikel«, erzählt Schäli. Und das sagt einer, der zu der Handvoll Profis gehört, die durch extreme Neutouren, vor allem aber durch Schnellbegehungen der Wand eigentlich ihren düsteren Nimbus entrissen haben.
Bei seiner ersten Durchsteigung hatte der Südtiroler Christoph Hainz noch nicht einmal eine Routenbeschreibung dabei. Unbekümmert hielt er es dann auch bei seiner Solo-Begehung. »Einsteigen und durch« war seine Devise und zeigt den Grad der Überlegenheit, die die heutigen Athleten in der Nordwand demonstrieren.
Die Erstbegehung von 1938. © Archiv Heckmair-Auffermann
Neben Ueli Steck (+ 2017), Roger Schäli oder Robert Jasper war es vor allem auch Stephan Siegrist, der gewiss mehr Stunden in der Eigerwand verbrachte als auf der heimischen Couch. Dazu mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht.

Barbecue in der Wand
Mit Ueli Steck hauste er einmal für die Route »Paciencia« 16 Tage lang in der Wand. In diese Zeit fiel auch der Schweizer Nationalfeiertag, für den die beiden extra Holz und Fleisch zum Grillen mitgenommen hatten. »Dann feuerten wir unsere Raketen ab, doch eine zog quer und ist in meine Schlafmatte geschossen«, erinnert sich Stef schmunzelnd. Am nächsten Morgen kam auch noch die Rettungsflugwacht, um sie zu holen. »Wir waren so naiv zu glauben, dass niemand die Raketen bemerkt hätte, doch nun mussten wir beschämt signalisieren, keine Hilfe zu brauchen.« Stef Siegrist war auch im vergangenen Jahr als Bergführer bei Filmarbeiten dabei. Mit der Kamera wurde eine echte Nordwand-Perle festgehalten!
Bergsteiger-Legende Peter Habeler, der übrigens über 30 Jahre lang zusammen mit Reinhold Messner den Rekord für die schnellste Seilschaftsbegehung der Heckmair-Route hielt, machte sich zu seinem 75. Geburtstag selbst ein Geschenk: mit Ausnahmetalent David Lama noch einmal durch die Eigerwand. Ups, und schon wieder ein Rekord! Habeler ist damit der älteste Bergsteiger, der je die Nordwand durchstieg. Doch das war ihm einerlei in dieser Wand, die nichts, aber auch gar nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat!
David Lama im vereisten Götterquergang. Peter Habeler stieg zu seinem 75. Geburtstag mit dem Ausnahmetalent durch die Wand. © Archiv Habeler
„80 Jahre Eiger Nordwand-Durchsteigung: Nicht Helden, nur Menschen", von Uli Auffermann, erschienen im BERGSTEIGER (Ausgabe 05/2018)
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